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TV-Kritik/Review: Crisis in Six Scenes

Woody Allens erste Serie erfreut Liebhaber mit den Qualitäten seiner besseren Filme - von Marcus Kirzynowski
(03.10.2016)

"Ein bisschen wie James Dean, bitte" - Woody Allen beim Friseur in "Crisis in Six Scenes"
"Ein bisschen wie James Dean, bitte" - Woody Allen beim Friseur in "Crisis in Six Scenes"


Es ist sicher nicht leicht, sich als Künstler jenseits der 80 noch einmal auf ein neues Medium einzulassen. So haderte Woody Allen, Altmeister der intellektuellen Komik, auch öffentlich mit seiner Entscheidung, ein allzu verlockendes Angebot von Amazon angenommen zu haben. Für den Streamingdienst des Internetriesen sollte Allen eine (Mini-)Serie drehen - und hatte dabei inhaltlich völlig freie Hand. Aber ist  "Crisis in Six Scenes" wirklich eine serielle Produktion geworden oder nicht einfach ein herkömmlicher Woody-Allen-Film, der einfach in sechs Teile zerlegt wurde?

Für letzteres spricht eine Menge. Das fängt schon damit an, dass nur die Auftaktfolge einen klassischen Vorspann hat; bei allen weiteren der jeweils rund 23-minütigen Teile gibt es nur eine kurze Einblendung des Titels. Auch beginnt die zweite Folge genau da, wo die erste aufgehört hat: Die Szene wird einfach fortgeführt, selbst das begleitende Jazzstück ist dasselbe. Das wiederholt Allen bei späteren Folgenübergängen sogar noch. Apropos klassisch: Natürlich ist auch die Gestaltung des Vorspanns der ersten Episode genau das - weiße Titel vor schwarzem Hintergrund, in der gleichen Schriftart gehalten, die Allen seit rund 40 Jahren für die Credits seiner Kinofilme einsetzt. Ungewöhnlich ist lediglich die Musikuntermalung: Statt Jazz oder Klassik ist diesmal Rock zu hören. Auf den Vorspann folgen dokumentarische Aufnahmen aus den wilden 1960ern, der Zeit, zu der die Handlung angesiedelt ist: Rockfestivals, Großdemos und politische Unruhen. Ein Off-Sprecher erklärt uns, dass die 60er in den USA eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs waren - und dass sich ein gewisser Sidney J. Munsinger mitten drin befindet. Das ist natürlich der erste Gag, denn wie wir in der ersten "richtigen" Szene sehen, ist dieser Munsinger niemand anderes als Woody Allens neuestes Alter Ego: ein Schriftsteller um die 80, der gerade mit seinem Friseur (Max Casella, neulich noch in  "Vinyl" zu sehen) darüber diskutiert, ob der richtige Haarschnitt ihn optisch ein bisschen näher an James Dean bringen könnte.

Diese erste, ziemlich lange Szene, die nur aus dem Dialog zwischen Munsinger und dem Barbier besteht, ist so typisch Woody Allen, dass man sich als alter Fan sofort auf heimischem Terrain fühlt. Wir erfahren, dass Munsinger ein paar Romane veröffentlicht hat, aber wohl weder zu den besten noch zu den bekanntesten Schriftstellern seiner Zeit zu zählen ist. Zumindest sein Friseur hält seine Bücher eher als Einschlafhilfe für geeignet. Zudem ist der Figur jene Mischung aus Neurosen und Selbstüberschätzung zu eigen, die bereits seit dem "Stadtneurotiker" und "Manhattan", also seit Ende der 1970er Jahre, alle typischen Allen-Charaktere auszeichnete. Ebenso vertraut ist das Milieu, in dem der Romancier lebt und das wir in den nächsten Szenen kennenlernen: gehobene Mittelschicht, die Ehefrau Kay (Elaine May) ist freiberufliche Sexualtherapeutin, die Gespräche im Bekanntenkreis drehen sich hauptsächlich um Literatur und vielleicht noch um Wein. Politik spielt in diesem bürgerlich-gediegenen Leben eher eine untergeordnete Rolle. Bis eines Nachts eine Außenstehende in die beschützte Welt der Munsingers eindringt - im wahrsten Wortsinne. Die Mittzwanzigerin Lennie Dale (Ex-Teeniestar Miley Cyrus) befindet sich auf der Flucht vor dem FBI, weil sie ihre politischen Ansichten mit einer Bombe unterstreichen wollte.

Miley Cyrus überzeugt in "Crisis in Six Scenes"
Miley Cyrus überzeugt in "Crisis in Six Scenes"

Jetzt wird es interessant, denn nicht nur stellt diese Begegnung erwartungsgemäß den eingefahrenen Alltag des gealterten Ehepaars (und seines Umfelds) komplett auf den Kopf und haucht den Senioren neue Lebensenergie ein (wie Allen es schon vor mehr als 20 Jahren in "Manhattan Murder Mystery" zelebriert hat). Nein, Allen selbst wird diesmal auch ungewöhnlich politisch. In den Dialogen lässt er kein wichtiges Thema aus, das die USA in den 1960er Jahren bewegt hat: nicht den Kampf der Schwarzen um ihre Gleichberechtigung, den Krieg in Vietnam oder den Wettstreit zwischen Kommunismus und Kapitalismus, für den auch terroristische Splittergruppen wie der Weather Underground standen. Der Filmemacher wendet hier den alten Trick an, verpackt in ein history piece Aussagen über den gegenwärtigen politischen Zustand seines Landes zu treffen. So ist es für Munsinger offensichtlich, was in den USA abgeht: "Die Schwarzen werden aufs Kreuz gelegt, die Reichen werden reicher, die Kriege gehen weiter." Man muss kein großer Exeget sein, um zu vermuten, dass das ziemlich genau Allens Bild der Zustände im heutigen Amerika entsprechen dürfte. Natürlich wendet Allen die Diskussionen über die Irrwege der amerikanischen Demokratie, mögliche Alternativen zum bestehenden System und die Frage, ob ein richtiges Leben im falschen überhaupt möglich ist, immer wieder ins Humoristisch-Absurde (wenn etwa Kays aus lauter alten gediegenen Damen bestehender Buchclub plötzlich anfängt, engagiert Marx, Lenin und Mao zu lesen und zu diskutieren). Das schmälert aber nicht den Verdienst, die richtigen Fragen gestellt zu haben. Für einen Filmemacher, der sich seine ganze Karriere hindurch eigentlich immer nur den zwischenmenschlichen Problemen und seinen eigenen Neurosen gewidmet hat, ist das schon bemerkenswert.

Zugleich ist dieser politische Inhalt auch das einzige Neue an der Serie. Alle anderen Elemente sind nicht mehr als die x-ten Variationen der allen'schen Themen und Stilmittel. So gibt es mal wieder eine Dreiecksgeschichte - diesmal nicht um Allen selbst, sondern um Cyrus, die dem jungen Spießbürger Alan (John Magaro) mit ihrer Guerilla-Attitüde den Kopf verdreht - und auch mal wieder eine Genrehandlung, die man als Thriller(parodie) bezeichnen könnte, wenn sie nicht so betont undramatisch inszeniert würde. Darin versucht die Allen-Figur zum wiederholten Male, mit Trenchcoat und Schlapphut Geldübergaben und Fluchten vor Polizeibeamten mit einem Mindestmaß an Würde hinter sich zu bringen. Gefilmt ist das alles ebenfalls so, wie man es aus Allens Filmen kennt: eher langsam und gediegen, stilvoll ausgeleuchtet, aber nie vom Standard-Hollywood-Stil abweichend. In den meistens nicht enden wollenden Dialogen (mit allerdings erstaunlich hoher Pointen-Treffsicherheit) bewegt sich die Kamera höchstens ganz langsam von den Personen weg, um überhaupt so etwas wie Bewegung ins Bild zu bringen. Dazu ertönt auf dem Soundtrack meistens gut abgehangener Jazz, etwa von Art Blakey. Aber mal ehrlich, hatte irgendjemand von einer Woody-Allen-Serie etwas anderes erwartet?

Obwohl "Crisis in Six Scenes" formal für den Autor/Regisseur etwas Neues sein sollte, ist es in vielerlei Hinsicht eher eine Rückbesinnung auf alte Stärken. Sprachen seine Filme in den vergangenen Jahren spätestens seit "Match Point" (2005) eher das gediegene Arthouse-Publikum mit Freude an europäischen Städtereisen an als die Anhänger seiner frühen in New York spielenden philosophisch-humoristischen Meisterwerke, erinnert die Serie wieder deutlich mehr an den Manhattaner Großstadtneurotiker. Und statt übertrieben "attraktiver" junger Blondinen verkörpert diesmal eben die dem Disney Channel entwachsene Miley Cyrus die junge Generation - was sie gar nicht mal schlecht macht. Die eigentliche weibliche Hauptrolle, die der Mrs. Munsinger, hat Allen mit einer fast 90-jährigen Schauspielerin besetzt, die seit seinem "Schmalspurganoven" im Jahr 2000 keinen Film mehr gedreht hat, mit seinem komödiantischen Talent aber schön korrespondiert. Irgendwie wirkt das alles ziemlich aus der Zeit gefallen, aber auf sehr sympathische Weise. Auch wenn es leicht gekürzt als zweistündiger Kinofilm wahrscheinlich mindestens genauso gut funktioniert hätte. Insgesamt muss man es wohl so zusammenfassen: Wer mit Allens Humor nie etwas anfangen konnte, wird auch durch dieses Spätwerk kein Fan mehr werden. Wer ihn allerdings bereits jahrzehntelang mit mal großer, mal schwindender Begeisterung durch seine Neurosen begleitet hat, wird hier all das wiederfinden, was seine besseren Filme ausmachte. Diese Mischung aus ernüchterndem Blick auf die Welt, in der wir nun einmal leben, und der augenzwinkernden Erkenntnis, dass man doch immer wieder über sie lachen kann, hat nach wie vor niemand so drauf wie er.


Dieser Text basiert auf Sichtung aller sechs Episoden von "Crisis in Six Scenes".

Meine Wertung: 3.5/5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Amazon Studios


 

Über den Autor

  • Marcus Kirzynowski
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit "Ein Colt für alle Fälle", "Dallas" und "L.A. Law" auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für TV Wunschliste und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

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