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TV-Kritik/Review: Die Erbschaft
(05.01.2015)
Am Anfang ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Ok, der älteste Sohn der wohlhabenden Künstlerfamilie Gr?nnegaard, Frederik (Carsten Bj?rnlund), will nicht zur Weihnachtsfeier seiner Mutter Veronika (Kristen Olesen) kommen, weil die beiden sich verkracht haben. Wie in einer ganz normalen Familie halt, wo die erwachsenen Kinder sich von den Eltern entfremdet haben, unterschiedliche Lebensauffassungen dafür gesorgt haben, dass jeder meist seiner eigenen Wege geht. Aber zumindest der jüngere Bruder Emil (Mikkel Boe F?lsgaard) hat sich aus Thailand angekündigt, wo er eines seiner Projekte verfolgt, die bislang noch nie geklappt haben. Und die Erstgeborene Gro (Trine Dyrholm), eine ehrgeizige Galeriemitarbeiterin, plant schon das Familientreffen, wie es so ihre Art ist, immer alles für andere zu organisieren. Aber Veronika, erfolgreiche Künstlerin und von ihren Kindern enttäuscht, hat gerade eine schockierende Prognose von ihrem Arzt bekommen und spürt das starke Verlangen, Kontakt zu einer weiteren Tochter zu suchen - die gar nicht weiß, dass Veronika ihre Mutter ist.
Eine Großfamilie in einem üppigen Anwesen auf dem Land, Konflikte mit den erwachsenen Kindern und lange gehütete Familiengeheimnisse - vieles in der neuen dänischen Dramaserie
Nach langsamem Auftakt verdichten sich schon bald die Konflikte, stehen sich die Interessen der einzelnen Alt- und Neugeschwister gegenüber und überlappen sich mit den Gefühlen, die sich eben so entwickeln, wenn bislang festgefügte Familienstrukturen sich plötzlich diametral verschieben. Denn Veronika - so weit muss man wohl spoilern - stirbt schon kurz nach der ersten Wiederbegegnung mit Signe, der Tochter, die bis heute dachte, ihre Eltern wären Lise und John. Und vorher hat die leibliche Mutter ihr noch das Haus vererbt. Mit dem hatten alle anderen, "offiziellen" Kinder aber ganz andere Pläne: Frederik und Emil wollten es hauptsächlich aus finanziellen Gründen, Gro wollte die Mutter überreden, es mitsamt deren Werken in eine Stiftung zu überführen, um ein Museum daraus zu machen. Mit dem Auftauchen der verlorenen Schwester und des Nottestaments der Mutter sind die Erbverhältnisse nun aber völlig unklar und jeder ist sich erst einmal selbst der nächste - bis auf Signe, die quasi unschuldig durch diese für sie neue Welt wandelt, ohne jede böse oder auch nur egoistische Absicht. Während sie sich zunächst einfach nur über die "neuen" Geschwister freut, liegen die schon auf der Lauer...
Die Serienproduktionen des öffentlich-rechtlichen dänischen Fernsehens DR haben seit einigen Jahren international einen unglaublichen Lauf:
Dyrholm ist hier nur eine unter Gleichen, die nur wegen ihrer Bekanntheit außerhalb Dänemarks zwischen ihren Kollegen hervorsticht. Besonders eindrucksvoll sind aber auch Marie Bach Hansen als naiv-warmherzige Signe und Jesper Christensen als Thomas, boh?mehafter (Lebens-)Künstler und erster Ehemann Veronikas. Er hat den Joint praktisch immer im Mundwinkel und die Rotweinflasche ständig in der Hand, lebt in einem Wohnwagen auf dem weitläufigen Anwesen seiner Ex-Ehefrau und benimmt sich seinen (Stief-)Kindern gegenüber eher wie ein komischer Onkel.
Die Serie wirft auch die alte Frage vom Generationenkonflikt zwischen 68er-Eltern und deren Kindern auf: Wie soll man selbst erwachsen werden, wenn die Eltern es im Geiste und teils auch äußerlich nie geworden sind? Heißt Rebellion dann, spießiger zu werden als die eigenen, ach so unangepaßten Hippieeltern? Obwohl die Gemengelage durch die unkonventionelle Rollenverteilung zwischen Eltern- und Kindergeneration zusätzlichen Reiz gewinnt, wäre es aber zu kurz gegriffen, "Die Erbschaft" auf das Thema 1968 und die Folgen zu verkürzen. Die thematisierten Konflikte und Konstellationen sind letztlich so universell, dass sich jeder darin wiedererkennen dürfte, wenn er nicht gerade völlig ohne Verwandte aufgewachsen ist. Anders als in "Kommissarin Lund" ist hier die Lage aber - zumindest in den ersten drei Folgen - nie völlig verkorkst. Zwischen all den unbewältigten Zurückweisungen, den Lügen und den Egoismen, ist doch auch immer Raum für Lebensfreude, für eine überraschende herzliche Geste, für Musik und Kunst und ausgelassenes Über-die-Stränge-Schlagen. Das ist halt bei aller Verwirrung doch der Vorteil einer solchen 68er-Erziehung: Langweilig wird es in einer Familie wie dieser nie.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie.
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: DR / Constantin Film
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