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TV-Kritik/Review: The Frankenstein Chronicles

Düsteres Spiel mit den Frankenstein-Motiven - von Gian-Philip Andreas
(14.12.2015)

Ermitteln gemeinsam: Mary Shelley (Anna Maxwell Martin), John Marlott (Sean Bean) und Nightingale (Richie Campbell)
Ermitteln gemeinsam: Mary Shelley (Anna Maxwell Martin), John Marlott (Sean Bean) und Nightingale (Richie Campbell)

Wabernder Nebel, mysteriöse Pergamente, zusammengetackerte Leichen und in der wetterfesten Cop-Hauptrolle kein Geringerer als Sean Bean, dessen bulliges Gesicht mittlerweile von tiefen Falten durchfurcht ist: Was der britische Pay-TV-Sender ITV Encore da vorlegt, klingt nach einer Krimi-Mystery-Mischung, die für winterliche Sessions am digitalen Kaminfeuer bestens geeignet ist. Allerdings ist  "The Frankenstein Chronicles" keine neuerliche Verfilmung des berühmten Romans von Mary Shelley, sondern eher ein freies Spiel mit dessen Motiven, angereichert durch Elemente des Historiendramas und des herkömmlichen Procedurals.

Gut so, denn Dr. Frankenstein ist als unkaputtbare Konstante des Grusel-Entertainments fast schon zu ausgelutscht für eine weitere getreue Adaption. Seit Boris Karloff 1931 erstmals das "Monster" spielte, gab es ungezählte Updates für Leinwand, Fernsehen und Bühne. Schon im kommenden April kommt mit "Victor Frankenstein" der nächste Kinofilm zum Thema, mit James McAvoy als Doktor und Daniel Radcliffe als Monster. Und - nicht zu vergessen: Auch in der erfolgreichen Showtime-Serie  "Penny Dreadful" ist Dr. Frankenstein dabei, gespielt von Harry Treadaway.

Das aus "Penny Dreadful" oder auch  "Ripper Street" bekannte Setting eines nachtfinsteren, dauervernebelten London in viktorianischer Zeit wirkt gegen die "Frankenstein Chronicles" allerdings schon fast optimistisch. Denn hier ist alles noch düsterer. Die von Regisseur Benjamin Ross ("Das Handbuch des jungen Giftmischers") und Autor Barry Langford ersonnene Serie ist ein gutes halbes Jahrhundert früher angesiedelt, im Jahr 1827, also in frühindustrialiserten Zeiten, in denen Londons klamme Gassen von Müll, Dreck und Scheiße überquollen und die bettelarmen Bewohner froh sein konnten über jeden heil überstandenen Tag, während Grabräuber und Kinderprostitutionsringe ihren Untaten nachgehen konnten, ohne dass der Adel davon überhaupt Notiz nahm. Die Macher der "Chronicles" übertreiben es fast in dieser Hinsicht: Jedem Straßenkind, jeder Hure und jedem Grabräuber haben sie eine Extraportion Ruß und Schmodder ins Gesicht geschmiert, damit auch wirklich keinem Zuschauer deren prekäre Existenz entgehen kann. (Diese Art übermotivierte Designerschmutzigkeit hat freilich eher gegenteilige Wirkung: Man stellt sich dann lieber die Darsteller vor, wie sie den Drehtag nach dem Abschminken in einer schicken In-Bar ausklingen lassen.)

Sei's drum: In diesem London des frühen 19. Jahrhunderts schiebt Inspector John Marlott Dienst als Wasserschutzpolizist, doch was da nach einer Nacht-und-viel-Nebel-Aktion gegen Drogenhändler an den Themsestrand gespült wird, ist kein Opium, sondern eine blasse Kinderleiche, die bei näherer Inspektion Nahtstellen aufweist und die Prämisse des Sechsteilers exemplarisch versinnbildlicht: Wer ist das, der da Leichen zusammenbastelt? Ist es Dr. Frankenstein?

Gleich in den ersten Sequenzen, in denen Marlott im schweren Mantel im Morast steht und in die Ferne stiert, deutet sich an, wie sehr die Serie von der Präsenz ihres Hauptdarstellers leben wird. Der inzwischen 58-jährige Bean, den die meisten als Eddard Stark aus  "Game of Thrones", als Bond-Schurke ("GoldenEye") oder "Herr der Ringe"-Boromir kennen werden, verleiht Marlott mit seinem gestischen Minimalismus eine wohltuend stoische Ruhe, aber auch eine verzweifelte Melancholie, deren Ab- und Hintergrund bald schon angedeutet wird: Als Soldat des 95. Schützenregiments hat er während der Napoleonischen Kriege die Hölle erlebt (Insidernotiz: in derselben Brigade kämpfte auch Scharfschütze "Sharpe", den Bean in 16 Fernsehfilmen verkörperte). Außerdem erkrankte er an Syphilis und infizierte damit seine Frau, die infolgedessen starb - samt des gemeinsamen Kindes. Seither wird der Schuldgeplagte regelmäßig mit Quecksilber behandelt, was bei ihm zu Weinkrämpfen und peinigenden Visionen führt, in denen die verstorbene Gattin (Deirde Mullins) als Traumgesicht ins Jenseits lockt. Keine Frage, dieser Marlott ist von Beginn an todgeweiht.

Düster und dreckig geht es in "The Frankenstein Chrionicles" zu
Düster und dreckig geht es in "The Frankenstein Chrionicles" zu

Die angeschwemmte Flickenteppich-Leiche führt derweil zu Verwerfungen in der Politik und zur Einbettung der Story in zeithistorische Auseinandersetzungen. Als Pathologe Sir William Chester (zwielichtig: Samuel West aus  "Mr Selfridge") verlauten lässt, die Leiche sei aus sieben verschiedenen Kindern zusammengenäht worden, gerät Innenminister Sir Robert Peel (schön snobistisch: Tom Ward aus  "Silent Witness") in Aufruhr. Ist ein Unholdsmetzger aus dem versifften East End am Werk - oder handelt es um einen Sabotageakt gegen den Anatomy Act? Das (1832 verabschiedete) Gesetz, über das gerade im Parlament beraten wird, soll dem grassierenden Leichenfledderwesen entgegenwirken und zertifizierten Anatomen und Chirurgen eine legale Zufuhr von Toten garantieren, wobei ausschließlich auf Leichen zurückgegriffen werden darf, auf die niemand Anspruch erhob - die also aus Gefängnissen, Armenhäusern und dergleichen kommen. Der Widerstand gegen den Anatomy Act bildet den Kontext der Ermittlung: Da gibt es etwa einen lumpigen Grabräuber (Charlie Creed-Miles), der um sein Einkommen bangt. Oder die fromme Lady Harvey (Vanessa Kirby), die mit ihrem mildtätigen Bruder (Ed Stoppard) und dem Parlamentarier Sir Bentley Warburton (Elliot Cowan aus  "Da Vinci's Demons") ebenso religiöse wie verdächtig philantrophische Einwände geltend macht. Könnte jemand von ihnen den Chirurgenberuf gezielt in Misskredit bringen wollen?

Peel setzt Inspector Marlott unter Verschwiegenheitsvorbehalt auf die Sache an, versetzt ihn zu den Bow Street Runners. Dort ermitteln Marlott und sein zylindertragender Assistent Nightingale (Richie Campbell) verschwundenen Kindern hinterher. Bald landen sie in einer dickensianischen Parallelwelt aus Straßenkinderbanden und Prostitution. Hat der Zuhälter Billy (Robbie Gee) etwas mit der Sache zu tun? Auch die Pathologen machen sich verdächtig, vor allem Sir Chesters undurchsichtiger Bruder (Mark Bazeley), der im Anatomiesaal leblose Knabenarme zum Zucken bringt. Und was weiß der verdächtig omnipräsente Reporter Boz (Ryan Sampson), der dasselbe Pseudonym führt wie der junge Charles Dickens?

Und dann wird es sogar noch literarischer. Ein Gedicht des greisen Dichter-Malers William Blake führt Marlott auf eine heiße Spur (und die Serie in etwas wirre Mystery-Gefilde). Blake selbst (gespielt vom großen B-Film-Chargen Steven Berkoff, berüchtigt durch Auftritte wie den im van-Damme-Vehikel "Der Legionär") liegt siech im Bett, faselt augenrollend von Monstern und stirbt, nicht ohne Marlott ein Konvolut aus düster-sybolistischen Zeichnungen zu hinterlassen. Dann tritt schließlich noch Mary Shelley höchstselbst auf, die Autorin des "Frankenstein"-Romans. Sie bringt sich sehr deutlich als Marlotts künftige Kollaborateurin ins Spiel und wird wunderbar gouvernantenhaft gespielt von Anna Maxwell Martin ( "Bleak House").

Die endgültige Richtung, die Ross und Langford einschlagen wollen, ist am Ende der zweiten Folge noch nicht ganz klar - ob also die polizeitechnische Mördersuche im Vordergrund des Sechsteilers stehen soll, das historische Zeitbild einer krass gespaltenen Gesellschaft am Vorabend der Moderne oder aber der Mystery-Aspekt. Was bisher gut funktioniert, ist die atmosphärische Steuerung: Grabschändergrusel, Protagonistenschwermut und Verschwörungspanik balancieren sich bestens aus. Auch mit Schreck- und Schockmomenten wird effektiv gespielt. Was dagegen bisher noch nicht so ganz überzeugt, ist die Krimi-Dramaturgie. Die Ermittlungsarbeit gestaltet sich bislang eher wirr, zufällig und konstruiert. Das plötzliche Finden von obskuren Hinweisen in kunstvoll verknitterten alten Buchseiten passt eher in Abenteuerschnurren wie  "The Librarians" als in das, was die "Frankenstein Chronicles" atmosphärisch zu beabsichtigen scheinen. Dennoch: Die neuerliche Variation des Frankenstein-Motivs bleibt nicht ohne Reiz, allein der britischen Qualitätsschauspieler wegen. Mit Sean Bean als emotionalem Zentrum, und womöglich bald mit Mary Shelley höchstpersönlich an seiner Seite, könnte eine ziemlich runde Sache daraus werden.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie.

Meine Wertung: 3.5/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ITV Encore


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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