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TV-Kritik/Review: Victoria
(12.09.2016)
Queen Victoria regierte ganze 64 Jahre lang, von 1837 bis 1901, ungefähr einmal quer durch die Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts: Als Symbolfigur manövrierte sie Großbritannien durch die Industrialisierung bis in die Moderne, unter ihrer Ägide wurde der Buckingham Palace zur königlichen Residenz, in der nach ihr benannten viktorianischen Ära wurde das UK zum Empire und sie selbst nebenberuflich zur Kaiserin von Indien. Kurzum: Wenn sich Engländer groß und bedeutend fühlen wollen, denken sie an Victoria. Und in den heutigen Brexit-Zeiten steigender sozialer Gegensätze denken sie wahrscheinlich besonders häufig an sie - in England lassen schließlich selbst beinhärteste Sozialisten nichts auf die Monarchie kommen. Wie gut also, dass
Autorin Daisy Goodwin (bislang vor allem für Reality-TV-Formate bekannt) fokussiert sich auf die Anfangsjahre Victorias, die den Thron mit 18 Jahren bestieg, und macht das Projekt gezielt zum Starverhikel: Jenna Coleman, die in den letzten Jahren in
Schnell wird klar, dass eine Neudeutung der Königin, eine kritische Betrachtung gar, ganz sicher nicht die Sache Goodwins war. Man merkt's am Vorspann, der Coleman in mildem Lichte von schmeichelnden "Gloriana! Hallelujah!"-Chören umjubeln lässt. In "Victoria" herrscht jener bewundernde Königinnenkult, der 2009 schon den Kinofilm "The Young Victoria" mit Emily Blunt prägte, mit dem er auch die Erzählhaltung teilt: Queen Victoria als emanzipatorische Vorbildfigur, die sich taff gegen Intrigen und Anfeindungen von Konkurrenten durchsetzt - und dabei auch mal ganz flott bäuchlings auf der Bettstatt liegend die Geschäftspost durchgeht. Dass die 30-jährige Coleman eine 18-Jährige spielt: Ehrensache. Weil das "Was" also bekannt ist, zählt vor allem das "Wie". Hier greifen Goodwin und der im seichten Gewerbe erfahrene Pilotfilmregisseur Tom Vaughan ("Professor Love") auf die üblichen Versatzstücke royaler Historienschnulzen zurück: Prächtige Pferde galoppieren durch herbstlaubbestäubte Alleen, tolle Uniformen sind zu bestaunen, auf jedes Edelfräulein kommt ein verschlagener Schurke. Und über allem strahlt Jenna, also Victoria.
Diese heißt zu Beginn, 1837, noch Alexandrina, als die Nachricht vom Tod des siechen King William IV., ihres Onkels, die Unerfahrene zur Königin macht. Verkompliziert wird die Lage durch die damalige Verbandelung deutscher Adelshäuser (Hannover, Sachsen-Coburg) mit dem britischen Thron, weshalb auch andere Leute Anspruch anmelden. Den größten Widerstand leistet zunächst "Drinas" Mutter, die Duchess of Kent (mit stiller Enttäuschung gespielt von der deutschen Schauspielerin Catherine Flemming, "Hunger"), die als Witwe schon länger den Einflüsterungen ihres Beraters erlegen ist. Paul Rhys ("Chaplin") hat großes Vergnügen daran, diesen Sir John Conroy als Backenbart-Bösewicht im steifen Stehkragen durch die Salons staksen zu lassen, ganz so, als könne er sich nicht entscheiden, ob er nicht gerade doch eher den fiesen Baron aus einem Monty-Python-Sketch spielen wolle. Sein Auftritt ist purer camp - und akzeptiert man ihn als solchen, kann man Freude daran haben. Auch Peter Firth (Ganz anders - und durchaus überraschend - fügt sich Rufus Sewell ("Dark City") in dieses Geschehen ein. Sewell, der so oft in seiner Karriere den Klischeeschurken geben musste, liefert hier als amtsmüder und tragisch umflorter Premierminister Lord Melbourne eine seine stärksten, weil zurückgenommensten Leistungen ab: Alexandria, die sich selbst in einer ersten Amtshandlung den optimistischen Amtsnamen "Victoria" verleiht, macht Melbourne zum Berater, der ihr in Mentorenrolle die ersten Schritte auf diplomatischem und zeremoniellem Parkett beibringt. An ihm stört sich nicht nur Conroy, der lieber die Duchess of Kent (und damit faktisch sich selbst) auf dem Thron sähe und sich früh über Victorias Alleingänge beschwert, sondern auch der Duke of Cumberland, der den "Tories" nahesteht und anstelle des liberalen "Whigs" Melbourne lieber den konservativen Sir Robert Peel (Nigel Lindsay), Protegé des Duke of Wellington (Peter Bowles, "In besten Kreisen") am Ruder seines eigenen Regimes hätte.
Die ersten beiden Episoden folgen diesen historisch verbürgten Anfangsverwerfungen der viktorianischen Regierungszeit, in der Melbourne erst abdankte und dann doch wieder antrat, weil Peel an Victoria scheiterte, die sich weigerte, den Gepflogenheiten gemäß einige ihrer Hofdamen gegen Tory-Ladies auszutauschen. Ein Affront, war der Krone in der konstitutionellen Monarchie doch auch damals schon Neutralität auferlegt. Schlimmer wog, dass Victoria einer krebskranken Hofdame fälschlicherweise vorwarf, von Conroy schwanger zu sein: Solche Skandale ihrer Anfangszeit werden zwar thematisiert, freilich nur, um sie als Prüfsteine im Reifeprozess der unangefochten edelmütigen Königin zu kennzeichnen, die sich den Versuchen ihrer Widersacher erwehren muss, sie als verrückt zu diffamieren.
In guter "Downton Abbey"-Tradition ergänzen die Bediensteten den Cast, als Spiegelebene für das Treiben der Hochwohlgeborenen. Da ist die (deutsche) Baronin Lehzen (Daniela Holtz aus Maren Ades "Der Wald vor lauter Bäumen"), die als neue Leiterin des königlichen Haushalts nach fortschrittlichen ökonomischen Gesichtspunkten wirtschaften möchte. Damit triezt sie Steward Penge (schön sardonisch: Adrian Schiller) und Palastschneiderin Mrs. Jenkins (Eve Myles aus
Sir, Dukes und das Gesinde, gewichtige Dialoge in riesigen Sälen, in denen bloß die Standuhr tickt: alles wie gehabt im britischen Fernsehroyalismus - und ihren geliebten Prince Albert hat Victoria da noch nicht einmal getroffen: Theoretisch könnte man Victorias Leben in chronologischer Abfolge also über 64 Staffeln nachvollziehen (wobei es spannend würde mitzuerleben, ob Jenna Coleman mit 80 ebenso wuchtbrummig aussähe wie Queen Victoria in ihren Greisenjahren). Ein entsprechend langer Atem ist von "Victoria", der Serie, allerdings nicht zu erwarten: Es dümpelt doch alles ein wenig sehr gefällig vor sich hin. Langweilig ist das fraglos nicht, aber über das Erwartbare schwingt es sich viel zu selten hinaus.
Vielleicht liegt das auch daran, dass man solcherlei Hofschranzen-Intrigenstories inzwischen zu oft gesehen hat. Es ist paradox: All die fiktiven Königserzählungen der letzten Film- und Fernsehjahrzehnte speisen sich schließlich nicht zuletzt aus dem Anekdotenfundus der historischen Vorbilder, von denen Victoria eines der prominentesten ist. Bekommt man jetzt aber nochmals das "Original" aufgetischt, fühlt sich das Ergebnis an wie aus zweiter Hand. Auch die CGI-Effekte reißen nicht vom Hocker: Das London des frühen 19. Jahrhunderts mit ragender St.-Paul's-Kuppel über niedrigem Dächermeer hat man schon mal überzeugender heraufbeschworen gesehen, auch die Shots des Buckingham Palace (vor dem damals noch der Marble Arch stand) sehen dürftig aus. Als routiniertes Bestärkungsprogramm für das ins Trudeln gekommene britische Selbstwertgefühl mag das funktionieren; auch Fans von Coleman oder Sewell sollten unbedingt reinschauen; doch von der tiefgründigen Seelenforschung und dunkel leuchtenden Epochenmalerei vergleichbarer historischer Fernsehproduktionen jüngerer Zeit (man vergleiche etwa die Thomas-Cromwell-Serie "Wolf Hall" (dt.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie.
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ITV
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