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TV-Kritik/Review: Vinyl

Musik-Drama profitiert von Starpower auch abseits der Kamera - von Gian-Philip Andreas
(29.02.2016)

MIttendrin: Bobby Cannavale als Richie Finestra
MIttendrin: Bobby Cannavale als Richie Finestra

Wenn sich einer der größten Regisseure der Filmgeschichte mit dem möglicherweise populärsten Frontmann der Rock-Geschichte und einem der maßgeblichen Produzenten der jüngeren Fernsehgeschichte für eine neue HBO-Serie zusammentut, sind die Erwartungen selbstverständlich hoch. Spielt diese Serie dann auch noch in einem vergangenen Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, in einem klar umrissenen Geschäftsfeld, und ist der Protagonist ein dauerkoksender Plattenboss, dann steigen diese Erwartungen gar ins Unermessliche. Mindestens hofft man da aufs nächste  "Mad Men" - und denkt die fällige Enttäuschung gleich mit.

Glücklicherweise aber kriegen es die ersten  "Vinyl"-Episoden partout nicht hin, für diese Ernüchterung zu sorgen. Vielleicht sind die Verantwortlichen doch zu kompetent: Nehmen wir etwa Martin Scorsese, der schon deshalb ein idealer Mann für dieses Projekt ist, weil er seit Jahrzehnten großartige Musik-Dokus dreht. Darüber hinaus entspricht das Setting von "Vinyl" (New York im Jahr 1973) haargenau jenem Spielort, der in Scorseses erstem Hit "Hexenkessel" so nachdrücklich in die Filmgeschichte einging. Der Mann kennt sich da aus. Oder nehmen wir den tragischen Mordfall, der sich gleich in der ersten "Vinyl"-Folge ereignet und das Drama auch zum Krimi macht, oder den Mafia-Filz, in dem sich das Plattenbranchenbusiness hier verfängt: Wer würde bezweifeln, dass Co-Creator Terence Winter hier fehl am Platze wäre, der Produzent der letzten  "Sopranos"-Staffeln und von  "Boardwalk Empire"? Nehmen wir schließlich noch Mick Jagger, den ebenso nimmermüden wie ledergesichtigen Sänger der Rolling Stones. Dass der 72-Jährige über einen reichen Anekdotenschatz verfügt, dürfte klar sein - dass er aber eine Story produziert, die davon erzählt, wie der bräsig gewordene Mainstream-Rock Mitte der Siebziger den Staffelstab an den Punk weiterreicht, ist trotzdem überraschend.

Zusammen mit dem Autor Rich Cohen legen diese drei Veteranen eine zehnteilige Serie vor, von der man nach zwei Episoden zwar noch nicht endgültig sagen kann, ob sie den "Mad Men" das Wasser wird reichen kann, die aber vielversprechende Ansätze zeigt. Vor allem gilt das für Rock-Aficionados, die hier im Überfluss bedient werden, und zwar auf mehreren Ebenen: Da ist einerseits der Soundtrack, der von Bowie bis zu den Stones (logisch!) alles einspielt, was anno 1973 auf den Plattentellern lag. Und andererseits sind da liebevoll inszenierte Musiknummern. Davon gibt es wiederum verschiedene Arten: erstens surreale Intermezzi, in denen Blues-, R&B- und Folk-Größen wie Jerry Lee Lewis, Karen Carpenter (gespielt von Natalie Prass), Bo Diddley oder Bobby Bland gleichsam aus dem Unterbewusstsein der Protagonisten aufsteigen und mit ihren Songs die Handlung kommentieren; zweitens von Schauspielern nachgestellte Live-Auftritte von Bands wie Velvet Underground, Led Zeppelin oder New York Dolls, drittens schließlich Auftritte fiktiver Acts, die realen Bands nachempfunden sind: Der von James Jagger (Micks Sohn) gespielte Kip Stevens und seine "Nasty Bits" etwa stehen stellvertretend für die ersten New Yorker Proto-Punk-Bands wie The Dictators oder Television und deren ursprünglichen Frontmann Richard Hell. Erzählt wird von einem Zeitpunkt, an dem die Rockmusik stagnierte: Stadion-Bands von Slade bis Jethro Tull sowie Prog-Rock von Emerson, Lake & Palmer bis Yes gaben den Ton an, während Punk noch so unerhört war, dass allenfalls Underground-Acts wie Suicide diesen Begriff verwendeten.

Ist "Vinyl" also nur ein Wimmelbild für Plattensammler und in die Jahre gekommene Rock-Nerds? Natürlich nicht - es geht hier keineswegs nur ums Zitateraten oder herrlich treffsichere Kurzauftritte von Robert Plant (als junger Schnösel) und Andy Warhol (gespielt von "Hedwig and the Angry Inch"-Macher John Cameron Mitchell). Dennoch ist die Handlung so neu nicht, vieles erinnert in der Tat an eine "Mad Men"-Variante mit noch erhöhtem Rauschmittelmissbrauch. Wieder einmal steckt ein Macher in der Krise, ein Macho wandelt nah am Abgrund, ein neureicher Plattenfirmenmanager, Mitte vierzig. Inmitten eines namhaften Casts aus Winter- und Scorsese-Stammschauspielern wird dieser Richie Finestra vom verlässlich guten Bobby Cannavale gespielt (bekannt etwa aus der dritten Staffel "Boardwalk Empire"): Der zweistündige Pilotfilm, den Scorsese höchstpersönlich inszenierte, lässt ihn zu Beginn verzweifelt im Auto sitzen, irgendwo im Greenwich Village. Richie säuft Whiskey und schnieft Koks vom eilig abgebrochenen Rückspiegel. Dann rennt ein buntes Trüppchen Party People über seinen Wagen hinweg, dem Richie in eine verruchte Konzert-Location folgt. Dort spielen die "New York Dolls" gerade ihren Hit "Personality Crisis". Und siehe da: Richie ist glückselig. Neue Zeiten brechen an! Erst nach zwei Stunden, am Ende der Episode, wird diese Szene weitergeführt: Da ziehen dann plötzlich Risse durchs Mauerwerk, Scheinwerfer krachen herunter, das ganze Gebäude kollabiert. Richie erhebt sich aus dem Schutt und humpelt ebenso blutend wie lächelnd davon: eine Epiphanie? Im Mercer Arts Center (das 1973 tatsächlich in sich zusammenfiel, wenn auch nicht während eines Konzertes) hat er, scheint's, den Sound der Zukunft gehört.

Das Poster zu "Vinyl"
Das Poster zu "Vinyl"

Zwischen erster und letzter Szene skizziert "Vinyl" Herkunft und Status quo dieses Richie Finestra. In Rückblenden wird erzählt, wie er einst für einen taffen Plattenmogul (Paul Ben-Victor aus  "In Plain Sight") arbeitete, dabei einen aufstrebenden Blues-Sänger entdeckte (Ato Essandoh aus  "Copper") und diesen schließlich verriet. Im Jetzt der Erzählzeit ist von der prekären Lage die Rede, in der seine Plattenfirma American Century seit einiger Zeit steckt. Im Scorsese-typischen Off-Kommentar blafft Richie den Zuschauer an: "Du eifersüchtiges Arschloch! Ich habe mir das Recht, verhasst zu sein, hart erarbeitet." Seine Firma steht vor dem Aus, nur ein Verkauf ans deutsch-niederländische Konglomerat PolyGram kann die Pleite noch verhindern, doch das wird nur klappen, wenn Led Zeppelin "gesignt" ist. Doch das klappt nicht. Dann zickt ein alternder Radio-Mogul herum (herrlich: Andrew Dice Clay aus "Ford Fairlane"), es kommt zu einer unerwarteten Bluttat. Auch die Familie droht Richie zu entgleiten: Ehefrau Devon (Olivia Wilde, "Rush") langweilt sich mit den Kindern in der Familienvilla auf dem Land. Dann verheißt der Proto-Punk das nächste große Ding - und damit die mögliche Rettung von American Century. Schon am nächsten Morgen droht Richie jedem A&R-Mann seiner Firma den Rausschmiss an, der nicht innerhalb von zwei Wochen ein aufregendes neues Talent herangekarrt hat.

Das wird rasant und unterhaltsam erzählt, hat aber ein kleines Problem: Zwischen der enormen Präsenz Cannavales, zwischen den ganzen Zitaten, der mitreißenden Musik und dem HBO-typisch großartigen Production Design, das die Siebzigerjahre perfekt heraufbeschwört (in erdigem Braun-Gelb-Orange, mit Schlaghosen, grotesken Spitzkrägen, Koteletten und Spät-Hippie-Blusen), kommen die übrigen Figuren zu kurz: Richies Kollegen in der Plattenfirma (P.J. Byrne, Max Casella, J.C. MacKenzie, Jack Quaid) werden nur anskizziert, lediglich Ray Romano (aus  "Alle lieben Raymond") gewinnt als "Head of Promotions" Zak Yankovich etwas mehr Profil. Doch verglichen mit den "Mad Men"-Kollegen Sterling und Cooper wirken sie alle blass. Bei den Frauen sieht es ähnlich aus: Olivia Wilde hat als Devon wenig mehr zu tun, als den Zeiten hinterherzuweinen, in denen sie zusammen mit dem Model Ingrid ( "Borgen - Gefährliche Seilschaften"-Star Birgitte Hjort S?rensen) in Andy Warhols Factory rumhing. Interessanter ist Juno Temple ("Horns") als "Sandwich Girl" Jamie Vine, die im Büro einen gut bestückten Drogenschwarzhandel betreibt und den Riecher für "the next big thing" zu haben scheint. Sie ist es, die Richie das Demo-Tape der Früh-Punks "Nasty Bits" unterjubelt und nach etwas diplomatischem Sex dem Frontmann Image-Lektionen erteilt. Ein bisschen ist Jamie das, was Kate Hudson im zeithistorisch ähnlich gelagerten Kinofilm "Almost Famous" gewesen ist, und ein bisschen das, was Elisabeth Moss als Peggy Olson in "Mad Men" war: die Unterschätzte, die sich als Avantgarde erweisen wird. Doch so ganz ist sie - bis jetzt - noch keine von beiden.

Die von "Sopranos"-Routinier Allen Coulter erfreulich rasant inszenierte zweite Episode, die die Polizei auf Richies Fersen schickt und sowohl Zak als auch Devon detaillierter unter die Lupe nimmt, weckt allerdings die Hoffnung, dass das eingangs etwas zu flache Typenpanorama schon bald an Tiefe und Profil gewinnen könnte. Das wäre das, was "Vinyl" fehlt, um zu einer großen Serie werden zu können. Ein unterhaltsames Zeitbild (nicht nur) für Rockfans ist sie schon jetzt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Folgen von "Vinyl".

Meine Wertung: 4/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: HBO


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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