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TV-Kritik/Review: "German Crime Story: Gefesselt": Kann die neue Serie den Appetit der Deutschen auf True Crime sättigen?
(13.01.2023)
Im Zweifel für den Angeklagten zieht der Kläger zwangsläufig die Zweifel auf sich. Gefesselt ist man dann nicht mehr bloß an den Händen, sondern vor allem am Mund. Die erste Runde Gefesselt
, verhandelt die verschiedenen Topoi der Gebundenheit, der Verstrickung und des Fesselns sowohl in metaphorischer, wie physischer Art - bindet sich dabei jedoch immer mehr den Klotz ans Bein.
Der besteht nämlich aus einer ähnlichen Dialektik wie jüngst in der Serie Gefesselt
folgen wir zwar keinem "Monster", wie es Netflix mit "Dahmer" tut, sondern dem Entführer Raik Doormann. Oliver Masucci spielt den Hamburger Jung als plattdeutschen Horst Schlämmer, der seinen Charme über Chauvinismus definiert. Die Serie inszeniert ihn in den ersten beiden Episoden als ausweglose, beinahe bemitleidenswerte Person, die einfach ein schönes Leben in den Tropen haben will.
Doch dieser ist, was die Serie in den ersten zwei Episoden gekonnt umschifft, eine viel düstere Person, als bloß ein Gelegenheitsentführer. So etabliert ihn Regisseur Schwarz zu Beginn als zwielichtigen Mann, der eine Leiche durch seine Wohnung schleift und in die Badewanne (ein-)legt. Hier zeigt die Serie auch ihre Wahre Begebenheit
, wie sie im Intro proklamiert. Doormann ist dem Säurefass-Mörder Lutz Reinstrom nachempfunden. Ohne Kenntnisse über den und seine Taten funktioniert das True-Crime-Format jedoch genauso gut.
Die Proklamation "Frei nach wahren Begebenheiten" wird hier wahrlich genutzt, denn "Gefesselt" erlaubt sich nicht nur hier und da geschickter Anachronismen, es gönnt sich auch die moralische Grauzone. Doch wurden diese Fragen schon im Zuge des Medienrummels um Dahmer zu Genüge gestellt. Die spannendere Frage ist, weshalb in Deutschland True-Crime so gut funktioniert. Ein Podcast jagt den Nächsten, Schirach und Tsokos erklimmen die Bestsellerlisten und
Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, schafft die Gewissheit, (noch) zu leben. Und vielleicht dient es auch zur Befriedigung, zur Erleichterung. Viele definieren sich über ihre Mitmenschen, und scheinbar ist andere zu überleben eine tief vergrabene Lust, die sich für den sozialisierten Bürger darin äußert, die Todesanzeigen der FAZ durchzublättern. Faszinierend umso mehr, in die Seele eines düsteren Schlächters, wie Raik Doormann einer ist, zu blicken. Mord zum Greifen nah; die Spannung, die Trauer, die Wut. Alles dosiert und verpackt in Spielfilmlänge. Der Tod ist so sehr Konsumgut geworden, dass es nur noch drauf ankommt, wie grausam er war.
In "German Crime Story: Gefesselt" ist er aber vor allem imaginär. Getötet wird nicht, das wird dem Zuschauer überlassen. Wir sehen ein vorher und ein nachher. Etwas nicht zeigen, ist im Film ein gängiges Stilmittel. Was Regisseur Schwarz jedoch zeigt, sind piefige, beige-graue Räume deutscher Vorstädte, in denen die Tapete so trostlos an der Wand sitzt, dass sie selbst so sehr ästhetischer Zweck geworden ist. Langweilig, um das gezeigte vorstechen zu lassen.
So sind leichte Kameraschwenks durch eben jene Wohnzimmer der 1980er Jahre umso interessanter, wenn in den Röhrenfernsehern Bilder der großen Chauvinisten gezeigt werden: Weinstein, Trump, Cosby. Schwarz erlaubt sich hier, direkt Position zu beziehen. Ansonsten pikiert sich die Serie, klare inszenatorische Akzente zu setzen und bedient sich gemäßigt an der visuellen Kultur zeitgenössischer Serien. Verstehen Sie mich nicht falsch, das Rad muss nicht neu erfunden werden - man könnte aber mal andere Reifen aufziehen.
Die Sichtung basiert auf den ersten beiden Episoden der Serie "German Crime Story".
Die sechsteilige Staffel "German Crime Story: Gefesselt" ist am 13. Januar bei Prime Video veröffentlicht worden.
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