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TV-Kritik/Review: "Powerplay" gehört zu den besten Serien des Jahres 2023
(29.12.2023)
Zum Jahreswechsel überrascht der NDR mit
Realität liefert packenden Stoff
Politiker grabschen, intrigieren und saufen
Die tatsächlichen Ereignisse rund um Gro Harlem Brundtland liefern packenden Stoff für mehrere Fernsehabende. Die wilden Kerle rechnen mit keiner aufmüpfigen Frau, sondern brauchen ein weibliches Wesen als Alibi für ihre Umtriebe. Wie gewohnt wollen sie grabschen, intrigieren und saufen. Nach einer verlorenen Abstimmung zur Abtreibung kritisiert Gro: Warum müssen sie immer lügen? Sie haben schon einen roten Kopf, wenn sie sich aus dem Stuhl quälen
. Die Nachwuchspolitikerin überwindet ihre Naivität. Ihre Pläne zum Naturschutz empören Parteifreunde und Kabinettskollegen. So schimpft Bjartmar Gjerde (Øyvind Brandtzæg): Das Umweltministerium ist doch nur symbolisch
. Gro meidet die üblichen Saunarunden und Geheimzirkel, um Macht mit eigenen Methoden zu erobern.
Serie basiert auf Wahrheit, Lügen und miesen Erinnerungen
Wesentliche Fakten stimmen. Chefautor Johan Fasting und Hauptdarstellerin Kathrine Thorborg Johansen bestätigen, dass sie intensiv recherchiert haben. Der Vorspann entschuldigt Fehler: Nach all den Gesprächen mit Zeitzeugen gründe das Ergebnis auf Wahrheit, Lügen und miesen Erinnerungen
. Eingestreutes Archivmaterial mag glaubwürdig erscheinen, obwohl die Zuschauerinnen und Zuschauer über die unterschiedlichen Gesichter stolpern. Die Serienmacher setzen eher auf Spaß als auf dokumentarische Genauigkeit. Experimentierfreude prägt sowohl das Drehbuch als auch die Inszenierung. Originelle Bildwechsel und der Einsatz von Handkameras wecken Aufmerksamkeit.
Serie wirkt aufregend und anarchisch
"Powerplay" lebt von Widersprüchen
Johan Fasting und seine Leute jagen durch vergangene Zeiten, ohne Widersprüche zu erklären. Aktuelle Autos und Gebäude prägen die Straßenszenen. Indes vernebelt Zigarettenqualm wie damals die Räume. Mitunter wandeln Figuren in unmodernen Klamotten durch improvisierte Kulissen. Plötzlich wechseln sie zwischen den Szenen. Gebrauchte Alltagsgegenstände und ausgeblichene Farben vermitteln ein Gefühl für die 70er- und 80er-Jahre.
Sozialisten streiten im abgedunkelten Fahrstuhl
Typisch für eine Mockumentary: Millionär Arvid Engen (Trond Espen Seim) kommentiert das Geschehen aus dem Hintergrund. Er fragt, was nach den Dreharbeiten herauskommen soll. Ein Film
, lautet die knappe Antwort, auf die Arvid cool reagiert: Das dachte ich mir - ich bin ja tot
. So wie dieses absurde Geständnis wirkt die gesamte Serie aufregend und anarchisch. Als wiederkehrende Gags gelingen Streitgespräche im abgedunkelten Fahrstuhl. Abwechslung entsteht etwa durch Gedanken, Phantasien, Träume und Zeitsprünge. Soundeffekte und Musik betonen die Stimmung.
Wir fordern Aufklärung mit Spaß
Bedenkenträger verhindern kreative Freiheit
Im Vereinigten Königreich fallen in historischen Serien klare Worte über bekannte Politiker - zum Beispiel in
NDR bewundert dreiste Kollegen aus Norwegen
Eine fremde Zielperson wie Gro Harlem Brundtland rückt in die Ferne. Dann bewundert der NDR die Dreistigkeit der norwegischen Kolleginnen und Kollegen, ohne eine Klage von beleidigten Leberwürsten zu fürchten. Übrigens strebt die ARD nach jungen Angeboten für die Streamer-Generation
, heißt es im Presseheft. Liebe TV-Sender und Streaming-Dienste: Bitte gebt uns mehr Aufklärung mit Spaß! Den Boden bereitet haben zahllose Politikdramen wie
Norwegen kennt Gro Harlem Brundtland als Partei- und Regierungschefin
Spitzenpolitikerin kämpft für Frauenrechte, Gesundheit und Klimaschutz
Frauenrechte und Klimaschutz liegen Gro Harlem Brundtland am Herzen. Sie startete 1974 als norwegische Umweltministerin. Zuvor hatte sie Medizin etwa an der Harvard University studiert und zeitweilig Patienten versorgt. 1981 regierte die Politikerin das skandinavische Land, musste aber nach wenigen Monaten aufgeben. Trotzdem leitete sie die sozialdemokratische Arbeiderpartiet für elf Jahre. 1986 kehrte Gro als Staatsministerin an die Spitze zurück. Nach einer einjährigen Unterbrechung übernahm sie 1990 erneut die Verantwortung bis 1996. Als Abgeordnete und in unterschiedlichen Ämtern hat Gro für Nachhaltigkeit und Gesundheitsfürsorge gekämpft. Jetzt gehört die 84-Jährige zum Stadtrat von Oslo. Fans bezeichnen die engagierte Frau als "Mutter der Nation". Die erste Staffel beleuchtet die Zeit von 1974 bis zu Odvar Nordlis Regierungskrise von 1981.
Taktiker suchen Vorzeigefrau
Trygve Bratteli (Lasse Kolsrud) verliert 1974 die Lust, seine Partei anzuführen. Reiulf Stehen (Jan Gunnar Røise) wittert seine Chance. Die Gegner fürchten, dass der populistische Linke den Sozialdemokraten schadet. Sie fördern den Langweiler Odvar Nordli (Anders Baasmo). Die Flügelkämpfer schicken Trygve Bratteli ebenso als Staatsminister in die Wüste. Sie akzeptieren Reiulf lediglich als Parteivorsitzenden. Widerwillig übernimmt Odvar den Posten als Regierungschef. Eine Vorzeigefrau soll Stimmen sammeln. Folgerichtig gewinnen die Taktiker Gro Harlem Brundtland als Umweltministerin.
Tochter eines erfahrenen Genossen könnte triumphieren
Die Tochter eines erfahrenen Genossen erkennt langsam die Intrigen. Ein Unglück auf einer Bohrinsel spielt ihr in die Hände. Vorerst kann sie sich nicht durchsetzen. Ihr Eifer gefällt Reiulf, der ansonsten säuft. Monate später werden Unmengen an Bier und Schnaps in einen Wahlkampfzug geladen. Bei so vielen Journalisten wäre es peinlich, wenn's schon auf halber Strecke nichts mehr gibt
. Es wird auf andere Weise peinlich, weil ein vertrauensseliger Minister herumquatscht. Reiulf belästigt Gro auf dieser Reise. Er wird diese Entgleisung ewig bedauern. Irgendwann erwartet er eine Verschwörung - zumal eigene Heimtücke den Argwohn anheizt. Der Parteivorsitzende verjagt Gro aus dem Kabinett. Nun netzwerkt sie als Abgeordnete im Parlament. Odvars Position wackelt. Hört ihn tatsächlich jemand ab? Eine Ölkatastrophe haut den Staatsminister um. Derweil unterlaufen Reiulf schwere Fehler. Ferner hetzt er gegen Gro, die an ihrem Eigensinn festhält. Dennoch könnte sie demnächst triumphieren.
Deutsche Mitarbeit verdient Lob
ARD Mediathek bietet richtigen Platz
"Powerplay" informiert und unterhält so originell wie kaum eine andere Serie des Jahres. Allerdings könnte das Stammpublikum im Ersten diese ungewöhnliche Produktion ablehnen. Sie ist gut im NDR Fernsehen aufgehoben. Zumindest der WDR und der SWR werden wohl die einstündigen Folgen ausstrahlen, weil diese Sender als zusätzliche Co-Produzenten mitmischen. Nicht zuletzt bieten One und die ARD Mediathek den jüngeren Usern genügend Platz. Die inhaltliche und finanzielle Unterstützung aus Deutschland verdient Lob. Norwegen beeindruckt mit Serien wie
Seit 29. Dezember steht die erste Staffel in der ARD Mediathek zum Streaming bereit. Zudem laufen die ersten drei Folgen im NDR Fernsehen - am 2. Januar ab 22.30 Uhr. Am nächsten Tag sind zwei weitere Episoden ab 23.30 Uhr zu sehen. Zur gleichen Zeit am 4. Januar zeigt der Sender den letzten Teil. Die Fortsetzung startet 2024 zu einem späteren Termin.
Deutscher Trailer zu "Powerplay" (ARD erlaubt derzeit keine Einbettung)
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