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Netflix fegt mit "Depeche Mode" durchs Mittelalter
In "The Decameron" treffen zusammen: (v. l.) Sirisco (Tony Hale), Panfilo (Karan Gill), Neifile (Lou Gala), Tindaro (Douggie McMeekin), Misia (Saoirse-Monica Jackson), Pampinea (Zosia Mamet), Licisca (Tanya Reynolds) und Dioneo (Amar Chadha-Patel).
Giulia Parmagiani / Netflix
TV-Kritik/Review: "The Decameron" begeistert mit Intrigen, Komik, Pest und Sex/Giulia Parmagiani / Netflix

Das hätte schiefgehen können: Ein Werk der Weltliteratur wird ausgeschlachtet, bis allein der Name übrigbleibt. In der Serie  "The Decameron" wechselt der Geist des Klassikers vom Mittelalter in die Gegenwart. Showrunner Kathleen Jordan übernimmt die Beschreibungen aus dem Jahr 1348, als die Pest im italienischen Florenz wütete. Sie verformt die bescheidene Rahmenhandlung in eine rasante TV-Erzählung. Sie verwertet lediglich Motive aus den 100 Novellen des Buches "Das Dekameron". Ihr Team beleuchtet menschliche Schwächen und Stärken. Die Fernsehkünstler vermengen Dramatik mit Komik. Zudem zeigen sie Lust und Liebe wie damals Schriftsteller Giovanni Boccaccio. Erleben Sie ab dem 25. Juli auf Netflix, wie einige Adlige und ihr Personal vor der Seuche fliehen. Die angenehme Auszeit in einer Villa verwandelt sich in einen Überlebenskampf mit erstaunlichen Gegnern.

Mit 28 Jahren wird es Zeit für die Vermählung

In Florenz schwinden die Vorräte, sodass sich Einwohner um Essen prügeln. Ein Mann umklammert den verwesenden Leichnam seiner Frau und trägt ebenfalls die Zeichen der Pest an seinem Körper. Dienerin Misia (Saoirse-Monica Jackson) vergöttert ihre Herrin Pampinea (Zosia Mamet), die sich im reifen Alter von 28 Jahren endlich verlobt hat. In einer Pause beim Packen beobachten die beiden Frauen das Chaos. Medicus Dioneo (Amar Chadha-Patel) hilft dem reichen Junggesellen Tindaro (Douggie McMeekin) beim Anziehen und überprüft das Wohlbefinden. Der charmante Taugenichts Panfilo (Karan Gill) zerrt seine Frau Neifile (Lou Gala) von der Beichte weg, damit das Paar aus der Stadt verschwinden kann.

Röchelndes Pestopfer muss zurückbleiben

Verachtete Helfer sammeln Leichen auf Karren. Dienerin Licisca (Tanya Reynolds) sieht angewidert und gleichzeitig neidisch, wie eine ältere Kollegin einem Toten die Stiefel abnimmt. In ihren zerlumpten Sandalen trägt sie einen Blumenstrauß ins Haus. Dann steckt sie wohlriechende Blüten in ihre Nase, um sich gegen Ausdünstungen zu schützen. Eduardos (John Hannah) überlebende Tochter Filomena (Jessica Plummer) tadelt: Wie im Namen des Herrn soll das denn meinem Vater helfen? Dennoch verbietet sie Beistand für das röchelnde Pestopfer: Bürste mir die Haare!

Eine Nachricht über den Tod des ausgewählten Heiratskandidaten lässt das Mädchen verzweifeln. Licisca bekundet: Patrona, das tut mir leid - obwohl ihr ihn hasst. Reaktion: Was spielt das für eine Rolle? Ein Bote überbringt eine Nachricht: Viele prominente Familien aus Florenz werden erwartet, hofft Eduardos Cousin Leonardo (Davy Eduard King) auf Gesellschaft in seiner Villa. Sind die meisten von denen nicht schon tot?, meint Licisca. Diese Gelegenheit will ich auf keinen Fall ausschlagen, beschließt Filomena, ihren hilflosen Vater zurückzulassen.

Stratilia (Leila Farzad) organisiert den Alltag in der Villa und kennt die Geheimnisse.
Stratilia (Leila Farzad) organisiert den Alltag in der Villa und kennt die Geheimnisse. Giulia Parmagiani / Netflix

So eine winzig kleine Infektionswelle kann nicht schaden

Derweil verspricht Dioneo seinem Kumpel Tindaro, dass betörende Frauen in der Zuflucht warten. Ich wette, dass sich ihre Kätzchen gar nicht mal so gut anfühlen, versteckt der privilegierte Verwandte seine Geilheit: Also wie fühlen sie sich an? Dioneo hat auf diesem Gebiet zahlreiche Erfahrungen gesammelt und erteilt gerne Ratschläge. Müssen diese Flagellanten das denn in aller Öffentlichkeit machen?, ekelt sich Panfilo vor bußfertigen Christen, die durch ihre Schmerzen die Pest vertreiben wollen. Ich denke ja, darum geht es, äußert Neifile Verständnis über das Schauspiel, das sie insgeheim erregt. Das bleibt unter uns, dass wir diese kleine, diese winzig kleine Infektionswelle im Haus haben?, fürchtet Leonardos künftige Braut Pampinea eher um ihre Oberweite als um den sogenannten Schwarzen Tod.

In Gefahr toben sowohl fromme als auch zügellose Gäste und Bedienstete: (v. l.) Stratilia (Leila Farzad), Tindaro (Douggie McMeekin), Pampinea (Zosia Mamet), Misia (Saoirse-Monica Jackson) und Sirisco (Tony Hale).
In Gefahr toben sowohl fromme als auch zügellose Gäste und Bedienstete: (v. l.) Stratilia (Leila Farzad), Tindaro (Douggie McMeekin), Pampinea (Zosia Mamet), Misia (Saoirse-Monica Jackson) und Sirisco (Tony Hale). Giulia Parmagiani / Netflix

Seuche verändert Jobprofil

Auf dem Land trifft Sirisco (Tony Hale) besondere Vorbereitungen für den Empfang. Während die Adligen da oben so tun, als wäre nichts, sind wir jetzt Köchin, Verwalter, Metzger, Wäscherin, Kämmerer, Stallknecht und Spülmagd, beklagt Stratilia (Leila Farzad) die Verluste in der Villa. Misia hütet ein Geheimnis, das die ganze Gemeinschaft gefährdet. Filomena treibt Licisca zum Aufbruch. Auf ihrem Wege wird ein Ereignis ihr Leben auf den Kopf stellen. Irgendwann werden die beiden Frauen über Gemeinsamkeiten staunen.

Wir wollen essen und trinken

Wir sind hier, um zu essen und zu trinken und um in eine strahlende Zukunft zu schreiten, bestimmt Pampinea das Programm der nächsten Wochen: Wir sollten fortan nicht mehr über die Pest reden. Dieser Vorsatz scheitert bald, zumal Banditen die Gesellschaft überfallen. Kardinal Agnolo (Romano Talevi) gehört zu dieser brutalen Gruppe - denn Gott, er ließ uns alle im Stich! Ein scharfkantiger Tafelaufsatz beendet seine ruchlose Existenz. An diesem Ort werden weitere Menschen sterben.

Zwischendurch wechseln einige Leute ihre gesellschaftliche Position und arrangieren unterschiedliche Bündnisse. Wie in etlichen Bühnenstücken von William Shakespeare treiben sie Verwirrspiele. Boccaccios Überlieferung hat den englischen Dichter beflügelt. Ohnehin hat der italienische Meister die Textform der Novelle verbreitet und die Themen abgesteckt. Boccaccio hat erhebliche Mengen an Stoff entwickelt, der uns über Film und Fernsehen erreicht. Kein Wunder also, dass Pier Paolo Pasolini 1971  "Decameron" ins Kino brachte. Er fasste acht Geschichten zusammen, die einen Skandal auslösten und ein Millionenpublikum anzogen.

Inzwischen langweilt dieser  "Schulmädchen-Report" für Intellektuelle. Hingegen erfrischt die Neufassung "The Decameron", weil sie jegliche Rücksicht auf die ehrenwerte Tradition vergisst. Außerdem erhöhen häufige Wendungen die Aufmerksamkeit. Mitunter löst Selbstlosigkeit den Egoismus ab. Das Schicksal belohnt diesen Wandel nicht unbedingt. Liebe und Lügen liegen nahe beieinander. Erkenntnisse und Selbsterkenntnisse hinterlassen ihre Spuren. Wer Belohnungen für Mut und Aufopferung verlangt, könnte enttäuscht werden.

Neifile (Lou Gala) und ihr Ehegatte Panfilo (Karan Gill) entdecken neue Seiten aneinander.
Neifile (Lou Gala) und ihr Ehegatte Panfilo (Karan Gill) entdecken neue Seiten aneinander. Giulia Parmagiani / Netflix

Mach mal Urlaub von Sorgen und Nöten

Natürlich ist kein Mittelhochdeutsch zu hören. "The Decameron" baut auf gegenwärtige Sprache, um Konflikte und Beziehungen aus unseren Tagen zu präsentieren. Ebenso entfallen gestelzte und veraltete Formulierungen wie Mir dünkt, der bittere Trank mundet der holden Maid gar vorzüglich. Dieses Geschwafel passt in die Epoche der Romantik und in alte Hollywood-Schinken. Dabei gehen die Drehbuchschreiber weiter als in anderen Produktionen, die in der Vergangenheit angesiedelt sind. Sie verbinden die Sorgen und Nöte im Mittelalter mit den Problemen und Wünschen von heute. Bitte keine Missverständnisse! Nicht jedes modern klingende Wort entstammt dem 20. oder 21. Jahrhundert. So steht "urloub" im Mittelhochdeutschen für die Genehmigung, vorläufig irgendwohin zu wandern - in diesem Sinne nehmen die Flüchtlinge aus Florenz durchaus Urlaub.

Sex hilft beim Ausbruch aus dem Alltag

Bei seinen Untersuchungen steckt Dioneo die Nase in den Dampf der adligen Kacke, wie es eigentlich in der spätmittelhochdeutschen Sprache heißt - hier verwendet sein Patient Tindaro den feineren Begriff Exkremente. Leibfeindlichkeit verdrängt Direktheit im Mittelalter. Gegen diesen Trend setzt "The Decameron" die natürlichen Körperfunktionen sowie alle möglichen Spielarten der Sexualität, denn erst in der Neuzeit siegt die Prüderie. Damit folgt die Miniserie ihrer Vorlage. Indes meidet die Sinnenfreude zugehörige Wörter, obwohl junge Zuschauerinnen und Zuschauer diverse Anzüglichkeiten zumindest theoretisch kennen. Andererseits will wohl niemand die Ohren klingeln lassen. Seinerzeit kannte Giovanni Boccaccio diesen Konflikt:

So behaupte ich, dass es mir nicht mehr verargt werden kann, diese Dinge niedergeschrieben zu haben, als es allen Männern und Frauen zu verargen ist, den ganzen Tag Worte zu gebrauchen wie 'Loch', 'Pflock', 'Stößel', 'Mörser', 'Wurst' und dergleichen mehr.

Auf dem Bildschirm turnen die Ausflügler und ihre Begleitung durch die Betten. Ferner lädt Stroh im Stall oder ein Sattel auf dem Schleifstein zur weiblichen Selbstbefriedigung, zu Sado-Maso-Praktiken, zum Oralverkehr oder zu schwulen Aktivitäten. Anders als etwa bei  "Bridgerton" dienen solche Szenen nicht ausschließlich der leichten Unterhaltung. Sex gehört nun mal zu einem überzeugenden Sittengemälde, das auf Ausbrüche aus dem Alltag verweist.

Der Arzt Dioneo (Amar Chadha-Patel, r.) hat seinen Herrn Tindaro (Douggie McMeekin) vorläufig im Griff.
Der Arzt Dioneo (Amar Chadha-Patel, r.) hat seinen Herrn Tindaro (Douggie McMeekin) vorläufig im Griff. Courtesy of Netflix

Farben und Musik verzaubern

Für historische Kostüme haben Gabriella Pescucci und Uliva Pizzetti bereits bei  "Die Borgias - Sex. Macht. Mord. Amen." gesorgt. Die Kleidung überzeugt, ohne im Kitsch zu ersticken. Prächtige Farben und ungewöhnliche Ideen transportieren die Komik. Man denke nur an die schrägen Hüte und Gesichtsjuwelen. Auch die Ausstattung fasziniert mit ihren Kulissen, die intensive Recherchen belegen. Selten brechen Kleinigkeiten die Illusion wegen dramaturgischer Anforderungen, wenn zum Beispiel die Weingläser von Ikea statt von einem venezianischen Glasbläser zu stammen scheinen. Einige Arrangements erinnern an berühmte Bilder wie "Das letzte Abendmahl" von Leonardo Da Vinci.

Die Musik von Ruth Barrett ( "Law & Order: Organized Crime") trägt das Geschehen. Der Chorgesang reißt das Publikum mit. Die Klänge traditioneller Instrumente stammen keineswegs aus dem Mittelalter - doch Flöten, Schalmeien und Harfen verzaubern. Songs aus den 80er- und 90er-Jahren setzen den Beat genau auf die Handlung. Licisca zieht zu "Master and Servant" von Depeche Mode in die vermeintliche Freiheit. Sie schmaust ungewohnte Leckereien und wühlt in Filomenas Klamotten - begleitet durch "A Girl Like You" von Edwyn Collins. Als ein seltsamer Neuzugang zu den Gästen stößt, ertönt "Blue Monday" von New Order - gleichermaßen effektvoll im Teaser zu genießen. Schade, dass diese Kracher im veröffentlichten Soundtrack fehlen.

Inhalte bereichern den Spaß

Die Darstellerinnen und Darsteller spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Erstaunlich, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer das umfassende Ensemble überblicken! Bei allem Spaß gelingt es, wertvolle Inhalte zu vermitteln. Woran erinnern bloß die Versuche, die ansteckende Krankheit zu leugnen? Gleichwohl greifen Argumente zum angeblichen Klassenkampf zu kurz. Wie die Ständegesellschaft im Mittelalter funktioniert, würde jetzt zu weit führen. Ungeachtet dessen sind Ungerechtigkeiten zu diskutieren. Die Krise im 14. Jahrhundert treibt die Unterschiede auf die Spitze, erlaubt jedoch Veränderungen stärker als je zuvor. Versuchen wir, individuelle Bedürfnisse zu verstehen. Dann schmecken uns sogar mit Pest und Sex garnierte Intrigen.

Dieser Text beruht auf Sichtung von vier der acht je knapp einstündigen Folgen der Miniserie "The Decameron".

Meine Wertung: 4/5

Netflix zeigt die acht Episoden von "The Decameron" ab Donnerstag, dem 25. Juli. Der Soundtrack, ohne die Popsongs, ist bereits veröffentlicht worden. Deutsche Ausgaben von Giovanni Boccaccios "Das Decameron" sind als Taschenbuch oder im Hardcover erhältlich. Pier Paolo Pasolinis Filmklassiker "Decameron" läuft auf Amazon Prime Video - oder kostenlos mit Werbung bei Freevee.


 

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei TV Wunschliste würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

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Leserkommentare

  • User 1656114 schrieb am 20.08.2024, 19.22 Uhr:
    Sry, aber diese Serie fand ich komplett unterirdisch. Diese bejubelnde Kritik ist nicht nachzuvollziehen. Völlig lahme Story, hässliche, unsympathische Darsteller und null lustig. Bisschen ethnische Vielfalt und Homosexualität reingepackt, und herausgekommen ist eine komplett vermurkste Soße des Nichts. Master and Servant von Depeche Mode soll belebend sein? das ist niemals 4 von 5, bei mir 0 von 5