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TV-Kritik/Review: "NCIS: Origins": Gibbs als in die Gegend stierender Trauerkloß und analoge Ermittlungen
(16.10.2024)
Machen wir uns nichts vor: Nach 21 Staffeln
Das ungebrochen populäre Franchise rund um die Strafverfolgungsbehörde des US-Marineministeriums steht für eine verlässliche Mischung aus Procedural-Krimi, Seifenoper und Workplace Comedy. Ab und an wird der Schwerpunkt anders gesetzt, ab und an wechseln die Teammitglieder, doch auch nach Harmons Ausstieg zu Beginn der 19. Staffel wurde, nun mit Gary Cole als Teamleiter, an diesem Prinzip nicht gerüttelt. Schon gar nicht wich man davon in den Spin-Off-Serien ab:
Eingefleischte NCIS-Fans haben im Vorfeld moniert, dass das, was da erzählt werden soll, eigentlich nichts Neues sei: Gibbs' Trauma, die Ermordung seiner ersten Frau samt Tochter in der Heimat, während er sich als Marine-Sniper im "Desert Storm" in Irak im Einsatz befand, war in der Mutterserie weidlich Thema. Die neue Serie denkt tatsächlich auch nicht daran, an dieser Geschichte zu rütteln. Aber sie führt eben genau ins Zentrum des Schmerzes: in die Zeit unmittelbar nach Gibbs' Rückreise aus dem Irak, 1991, als er, direkt nach der Beerdigung von Frau und Tochter, im Camp Pendleton an der kalifornischen Küste seinen Dienst antritt, als Special Agent in Probezeit beim NIS (die Behörde wurde erst 1992 in NCIS umbenannt).
In Flashbacks der Mutterserie wurde der junge Gibbs von Mark Harmons Sohn Sean Harmon gespielt. Den Part durfte der nun allerdings nicht erneut übernehmen. Der Job ging stattdessen an den bislang eher unbekannten Austin Stowell: Ihn und sein beeindruckend kantiges Kinn, mit dem man Edelsteine schleifen könnte, könnte man am ehesten noch aus dem Indie-Thriller
Dass Stowell mit Mark Harmon optisch allenfalls rudimentäre Ähnlichkeiten hat, viel größer und breitschultriger daherkommt, ist letztlich kein Problem. Irritierender ist, dass er in den ersten beiden Episoden, die als Doppelfolge die Staffel soeben eröffnet haben, vor allem als hölzern in die Gegend stierender Trauerkloß inszeniert wird. Fast ist man geneigt, ihn in Sachen Sperrholzplattenmimik mit Alan "Reacher" Ritchson zu vergleichen. Doch die häufig glasigen, gelegentlich sogar feuchten Augen verraten, warum dieser Minimalismus seinen Sinn hat: Leroy Gibbs läuft zu diesem Zeitpunkt seines Lebens schwer traumatisiert durch die Gegend. Er wirkt abwesend, funktioniert nur auf Autopilot, gerät dennoch leicht in Wut (und in Kneipenschlägereien). Kein Wunder, dass das Team um ihn herum umso lebendiger wirkt. Dieser Kontrast scheint mit Absicht hergestellt worden zu sein, um ihn dann nach und nach abräumen zu können - hoffentlich zumindest.
Den Mann, der Gibbs "auf Probe" eingestellt hat, kennen NCIS-Fans schon aus der Mutterserie: Special Agent Mike Franks ist Gibbs' Mentor und zudem Vorgänger als Chef des "Major Case Response Team" im NIS. Ab Staffel 3 tauchte er (gespielt von Muse Watson) immer wieder in Flashbacks auf und dann, bis zu Franks' Krebstod, auch in der laufenden Erzählung. Die jüngere Version des polterigen Ermittlers mit dem Biker-Schnurrbart wird nun von Kyle Schmid (
Als Widerpart (und mögliches Love Interest) für Neuling Gibbs und als Sparringspartnerin für den Sexismus von Franks ist mit Special Agent Lala Dominguez (Mariel Molino,
Eher am Rande eingeführt werden die beiden weiteren weiblichen Figuren im Cast: Tyla Abercrumbie (
Für den NCIS-typischen Comic Relief sollen rund um das Kernteam gleich mehrere Charaktere sorgen: Special Agent "Randy" Randolf (Caleb Foote aus
Der Hintergrund, vor dem das Team agiert, ist anno 1991 noch weitgehend analog: Klobige PC-Türme stehen in den ohnehin sehr behelfsmäßig zusammengezimmerten Büros, der Discman ist noch quasi unbekannt, forensische Analysen dauern Tage, entscheidende Hinweise verbergen sich auf zerfledderten VHS-Tapes, und im Autoradio plärren entweder Pearl Jam oder Mötley Crüe. Dieses Retro-Reenactment bleibt zwar durchgehend präsent, im schönen Kontrast zu den glitzernd-modernen NCIS-Welten der Schwesterserien, schiebt sich aber nie aufdringlich in den Vordergrund.
Der "Fall der Woche" ist diesmal ein "Fall der Doppelfolge": Es geht um einen Scharfschützen, der eine drogensüchtige Latina erschossen hat und danach, so scheint es, auch eine Gruppe junger Leute an einem Lagerfeuer am Strand. Dass der von den Medien "Sandman" getaufte Mörder am Ende gefasst wird, passt ins Bild des Üblichen, und doch bleiben Zweifel, ob der Fall tatsächlich gelöst wurde. Überhaupt scheint er vorgeblich arrangiert worden zu sein, um ihn als Spiegelfläche für den zerrütteten Gibbs zu nutzen. Tierskelette in einer Waldhütte, düstere Tunnel voller Crack-Zombies, eine kopflose, verbrannte Leiche auf dem Pathologietisch: Der dänische Regisseur Niels Arden Oplev, abgrunderfahren seit seinem Stieg-Larsson-Film
Irgendwann steht dann auch noch dessen Vater vor der Tür. Auch ihn kennt man schon aus der Mutterserie. Hier wird der Mann, dessen Beziehung zum Sohn notorisch gespannt ist, von Du bist jetzt ein Navy-Cop? Dafür bist du nicht gemacht, mein Sohn.
Wie sich aus Gibbs, diesem niedergeschmetterten Mann, die uns bekannte Figur entwickeln soll, wie er in seiner Team-Position von der Peripherie ins Zentrum rücken und sich Hauptdarsteller Stowell aus dem anfänglichen Loch emporarbeiten kann, das sind die zentralen Fragen von "NCIS: Origins".
Die Grundkonflikte liegen ja schon vor: Dominguez scheint eifersüchtig zu werden auf Gibbs, weil der plötzlich bei Franks Priorität genießt, was Franks gegen Dominguez in Stellung bringt. Franks wiederum verbirgt Schuldgefühle, weil er es war, der den Mörder von Gibbs' Frau nicht erwischen konnte. Diese Handlungslinien dürften sich fortsetzen, und ein zusätzliches Rätsel kommt noch dazu - eines, das man im Umfeld der NCIS-Plot-Schablonen nicht unbedingt erwartet hätte: In einer Rahmenhandlung und aus dem Off erzählt Mark Harmon höchstpersönlich als gealterter Gibbs das Gezeigte. Mit heftigen Andeutungen kennzeichnet der 73-Jährige die Handlung als eine "Geschichte, die ich eigentlich nie erzähle": Es sei vor allem die Geschichte über eine der (neu eingeführten) Figuren. Dieses Mystery-Element wirkt. Es tut dem NCIS-Franchise gut - und bringt eine horizontale Erzähldynamik in die Ermittlerroutine, von der man gespannt sein darf, wie weit sie trägt. Der Anfang verspricht mehr als erwartet.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "NCIS: Origins".
"NCIS: Origins" wird in den USA seit dem 14. Oktober ausgestrahlt. Eine deutsche Heimat oder gar ein Premierendatum sind noch nicht bekannt.
Über den Autor
Leserkommentare
Axelm1 schrieb am 16.10.2024, 18.34 Uhr:
Wer braucht noch ein Spin Off? Hätten lieber Hawaii weitermachen sollen als mit so einem Cliffhänger auf zu hören. Es ist eine Schande was die Programmmacher sich da leistenHauptkommissar schrieb am 16.10.2024, 18.02 Uhr:
Kleine Korrektur: Mark Harmon Spielte in 418!!! Folgen "Navy CIS", 4 Folgen "Navy CIS: New Orleans" und 2 Folgen "JAG" mit sind zusammengezogen 424 Folgen Ansonsten bin ich mit "NCIS: Origins" sehr Überrascht
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